Musikalische Gemälde und Geister im Dom
Mit einem fulminanten Orgelkonzert begeisterte der deutsche Organist Jens Korndörfer im Dom zu Speyer. Der in Atlanta tätige Musiker war eigens aus den USA angereist und spielte neben Werken von Louis Vierne Werke aus seiner Wahlheimat.
Im Rahmen des Louis-Vierne-Zyklus zum 150. Geburtstag des französischen Komponisten und Organisten stand diesmal keine Sonate auf dem Programm, sondern die zweite Suite mit sechs Charakterstücken, zu denen als Zugabe mit „Carillion de Westminster“ noch ein Werk aus der dritten Suite folgte.
Es war also die Ausarbeitung und klanglicher Färbung unterschiedlicher Stimmungen und Satztypen gefragt. Und in dieser Kunst erwies sich Korndörfer als absoluter Meister, der die Möglichkeiten der großen Domorgel in puncto Klangfarben und Dynamik voll ausschöpfte. Jeder Satz von Vierne hatte ein eigenes Profil - und man mochte kaum glauben, dass das alles einer, wenn auch großen Orgel entlockt wurde. Der Dom war von schillernden Klangfarben ausgemalt. Die Musik gewann eine im wahrsten Sinn des Wortes sagenhafte Plastizität, zum Beispiel im Stück „Irrlichter“, bei dem scheinbar die Geister um die alten Mauern schlichen. Auch der Sonnenhymnus und das Mondschein-Stück waren von bestechender Wirkung.
Geist der Gregorianik
Ganz von Bildern inspiriert ist Pamela Deckers „Windows of the Spirit“, nämlich den Fenstern in der Wirkungsstätte des Organisten, der First Presbyterian Church in Atlanta. Dieses war eines der drei amerikanischen Werke der Programms. Mit Prière Grégorienne von George Baker wurde dann der Geist der Gregorianik beschworen mit der Verknüpfung von marianischen Themen, zum Beispiel aus „Regina coeli“, „Ave maris stella“ oder (ideal für den Dom) dem „Salve Regina“. Dieser Musik gab Korndörfer eine zwingende und spannungsvolle Gestalt.
Frappierend war immer wieder zu erleben, wie der Musiker die dynamischen Möglichkeiten der Orgel für verblüffende Eindrücke nutzte, nicht nur in der Zugabe mit ihren Schwelleffekten.
Zwei Tonarten gleichzeitig
Mit den „Variations on America“ von Charles Ives stand ein besonders extravagantes Stück am Ende des offizillen Programms. Der originelle amerikanische Komponist schreibt hier neben vergleichsweise konventionellen und auch mal witzigen Variationen über die Melodie der heutigen englischen Nationalhymne auch krass bitonale Passagen, wo zwei nicht unbedingt miteinander harmonierende Tonarten gleichzeitig gespielt werden. Am Ende wird das Stück immer wilder mit aberwitzigen Pedalpassagen. Die aber machten jetzt im Dom dem Virtuosen aus den USA offenbar keinerlei Mühe.
Begonnen hatte der Abend übrigens mit ganz alter Orgelmusik aus dem 17. Jahrhundert, einer Estampie aus dem Robertsbrodge-Codex.